Statement zur Räumung der drei Squats in Thessaloniki und Bericht von der Räumung des Hurriya Squats und der Inhaftierung aus Innenperspektive

Statement zur Räumung der drei Squats in Thessaloniki und Bericht von der Räumung des Hurriya Squats und der Inhaftierung aus Innenperspektive

Am 27.07.2016 wurden zeitgleich drei Migrant’s Squats
in ThessalonikUnbenannti – Nikis Squat, Orfanotrofeio und das
neue im Rahmen des No Border Camps besetzte
Gebäude Hurriya – außerdem der Hafen von Piräus in
Athen geräumt. Eine zerstörerische Antwort der
repressiven Politik auf das kurz zuvor endende No
Border Camp Thessaloniki und ein Angriff auf linke
emanzipatorische Strukturen.

Auf Druck der Regierung wurden die Besitzer*innen der
besetzten Häuser dazu gebracht eine Räumung
anzuordnen. Die Personen, die sich zum
Räumungszeitpunkt in den Gebäuden aufhielten wird
Hausfriedensbruch bzw. Störung der öffentlichen
Ordnung und Sachbeschädigung (im Hurriya
vermeintlich im Umfang von 70 000 €) vorgeworfen.

Das Öffnen, Besetzen, Renovieren und Nutzen von Leerstand ist nicht nur aus einer Perspektive des Rechts auf Stadt für alle zu legitimieren. Es ein Zeichen der Solidarität mit allen Menschen, die von einer EU-Politik der Grenzkontrolle, Abschottung und Austerität unterdrückt werden. Solidarität mit allen, die deren Auswirkungen der Isolation, Segregation, Kontrolle und Vergessenheit unterworfen werden. Solidarität heißt Kampf um gleiche Rechte und
für ein gutes Leben für alle.

Dass Kapitalismus Existenzgrundlagen zerstört, Kriege verursacht und aufrechterhält; dass
Grenzen für Menschen immer unüberwindbarer und lebensgefährlicher werden, während sie
zunehmend durchlässig wird für alles, was Kapital maximiert; dass Festung Europa sich immer
weiter abschottet und militarisiert – all das ist bekannt. Die Auswirkungen systemerhaltender
Mechanismen wie Ausgrenzung, Nationalismus, Rassismus, Sexismus, Ausbeutung und
Unterdrückung wurden im gesamten letzten Jahr an den EU-Außen- und Innengrenzen besonders sichtbar.

Die Prekarität der Lebensbedingungen sowohl für Menschen auf der Flucht, als auch für
Griech*innen, die der Austeritätspolitik der EU und insbesondere Deutschlands unterworfen
werden, treffen in Griechenland aufeinander: Einerseits kommt es immer wieder zu rassistischen Übergriffen auf Migrant*innen wie etwa in Athen durch die rechtsextremen Mitglieder der Goldenen Morgenröte, andererseits gibt es starke Solidaritätsbewegungen an vielen Orten Griechenlands. Das Besetzen von Leerstand hat hier eine wichtige Bedeutung, da tausende Menschen auf ihrer Flucht in Griechenland feststecken und auf der Straße schlafen müssen. Besetzen heißt in diesem Kontext da aktiv zu werden, wo verantwortliche Institutionen versagen. Es bedeutet, sich Räume zu nehmen und der repressiven EU-Politik, die Menschen voneinander isoliert, sie kontrolliert, verfolgt und exkludiert, entgegenzutreten.

Es geht um den gemeinsamen Kampf um Freiheit, Selbstbestimmung und für ein gutes Leben für alle. Dafür sind Freiräume, die auf Selbstorganisation, Hierarchiefreiheit und Solidarität basieren, notwendig.

Durch die Räumung der drei Squats in Thessaloniki wurden drei wichtige Orte der Organisierung und Vernetzung von Migrant*innen unterwegs und der antirassistischen Solidaritätsbewegung zerstört – außerdem auch der derzeitige Lebensraum vieler Migrant*innen.

Im Zuge der Räumungen wurden fast 80 Menschen inhaftiert, die sich zum Räumungszeitpunkt in den besetzten Gebäuden aufhielten. Die folgenden rechtlichen Repressionen von monatelanger Haftstrafen auf bis zu drei Jahren Bewährung und hohen Prozesskosten sind ein weiterer Schritt der Kriminalisierung von Refugees, linken Aktivist*innen, Anarchist*innen und ein Versuch, Strukturen der Vernetzung und Selbstorganisation zu ersticken.

Die Konsequenz für viele lokale und transnationale Aktivist*innen ist die Einschränkung der
Handlungsfähigkeit in politischer Arbeit und Aktionen, weil sie Gefahr laufen in den Knast zu
wandern. Die Willkür der Kriminalisierung, Auslegung und Definition von „Straftaten“ kennen wir ja. Aber: Solidarität bleibt unsere Waffe und die Repression nicht unbeantwortet!

Ganz im Gegensatz zum Vorwurf von Sachbeschädigung in den Squats wurden alle besetzten
Gebäude mit viel Arbeit, hohem Energieaufwand und mit Unterstützung der Bewegung kollektiv
renoviert, instandgesetzt, verschönert und zu nutzbarem Wohn- und politischem Arbeitsraum
transformiert.

Diese Repression ist nicht nur ein Angriff auf die persönliche Freiheit der Inhaftierten, sondern auf die ganze Bewegung und dazu ein brutaler Zerschlagungsversuch emanzipatorischer Strukturen.

Bericht von der Räumung des Hurriya Squats und der Inhaftierung von innen
Das Hurriya Squat wurde während des No Border Camps (NBC) von griechischen und
transnationalen Aktivist*innen und Teilnehmer*innen des NBCs besetzt. Es ist ein mehrstöckiges Haus mit etwa 15 Wohnungen im Herzen von Thessaloniki, das seit langer Zeit ungenutzt leer steht. Die Idee war es, das Haus für Familien auf der Flucht, die derzeit in isolierten Relocation- Camps um Thessaloniki unter menschenverachtenden Bedingungen leben müssen, einzurichten und als Wohn- und Vernetzungsraum nutzbar zu machen.

„In my home country I die once, here I die every day“
(Zitat einer Person aus einem der Relocation-Camps um Thessaloniki)

Nach etwa zwei Stunden Schlaf wurden wir gegen 5.30 Uhr von lauten Stoßgeräuschen gegen die verbarrikadierte Eingangstür und durch aggressiven Stimmen geweckt. Schnell war den 60 im Hurriya Squat schlafenden Menschen klar, dass wir geräumt werden. Es dauerte nicht lang bis ein massives Aufgebot an Riot-Cops in das Haus eindrang und uns in den einzelnen Zimmern zusammenpferchten: Hinsetzen! Arme hoch! Einige Menschen versuchten sich noch auf dem Dach zu verbarrikadieren, leider erfolglos. Die Bullen pfefferten Tränengas hoch und keine*r schaffte es zu fliehen. Alle wurden festgenommen, eine Familie wurde zurück in das Relocation-Camp gebracht.

Mit Kabelbindern zusammengeschnürt wurden wir in Gefangenentransporter geführt, die in langer Reihe vor dem Haus standen. Zelle zu und warten. Glücklicherweise hatten einige Personen Nummern von Anwält*innen, die wir kontaktieren konnten.

Als wir an der Polizeistation ankamen war es hell. Wir wussten nicht wo genau wir waren und
wurden im Riot-Cop-Eskort in eine Tiefgarage geführt. Dann verbrachten wir Stunden in einem
stickigen Raum ohne Fenster, ohne Sauerstoff, ohne Informationen. Jeder Toilettengang und jedes Wasserholen war ein Kampf mit den Cops. Um „frische Luft“ zu bekommen wurden wir mehrmals für 30 Minuten in die Tiefgarage gelassen. Ein Freund, der einen Refugee-Status hat, wurde zu Beginn von uns isoliert. Bis zum Schluss wussten wir nicht, was mit ihm passiert.

Schließlich wurden wir zur Personalienaufnahme und Körpercheck gebracht: Nackt ausziehen.
Haargummi herausgerissen. Alle Piercings abgenommen. Halskette ohne Vorwarnung von einem Cop mit der Schere vom Hals geschnitten.

Stunden später hatten wir noch immer kein Essen. Nach Ewigkeiten kamen endlich Anwält*innen, um uns über die rechtliche Situation und mögliche Repressionen aufzuklären. Wir erfuhren, dass wir bis zu fünf Tagen festgehalten werden können und was uns vorgeworfen wird. Außerdem dass wir nicht das einzige Squat sind, das geräumt wurde.

Die Polizeistation war völlig überfordert mit der großen Anzahl an Gefangenen. Wir wurden
willkürlich in Gruppen unterteilt und von Raum zu Raum geschickt. Für die „Verhörung“ bekamen wir eine Übersetzerin. Etwa die Hälfte der Inhaftierten verweigerte Aussage, Fingerabdrücke und Fotografien.

#Nach etwa 15 Stunden bekamen wir endlich etwas zu essen – nicht jedoch von den Cops, sondern
unsere Anwält*innen brachten uns pappige Fleischsandwiches. Die Energie war am Ende, viele
waren emotional überfordert. Wieder vergingen Stunden der Ungewissheit bis sich allmählich
abzeichnet, dass wir die Nacht in der Zelle verbringen würden. Vorher werden wir aber noch
jeweils zu zweit in Handschellen mit dem Gefangenenbussen zum Gericht gefahren und der
Staatsanwältin vorgeführt, die uns vorliest, was wir „verbrochen“ haben und uns den
Gerichtstermin am Folgetag mitteilt.

Zurück im Knast mussten wir einen verbalen Kampf um die Erlaubnis unsere Zahnbürsten zu
holen ausfechten. Die Matratzen stanken und reichten nicht für alle. Einige mussten ohne Decken auf harten Tischen schlafen. Wieder kein Essen. Das Klappern der Schlüsselbunde vor den Gitterstäben und das grelle Licht macht das Einschlafen nicht leichter.

Unsere Idee, ein gemeinsames politisches Statement für den Prozess vorzubereiten war
pragmatisch kaum möglich – außerdem wurde uns das recht auf ein Gespräch mit dem Anwalt
ohne Polizeipräsenz verwehrt.

Die Solidarität von draußen durch sms-Nachrichten, eine Demo in Thessaloniki und die Besetzung der SYRIZA-Parteizentrale bis alle Besetzer*innen freigelassen wurden, hat uns Kraft und Mut gegeben und uns gezeigt, dass wir nicht allein waren.

Am nächsten Tag wurden wir wieder mit Handschellen zum Gericht transportiert. Journalist*innen erwarteten uns mit ihren sensationsfokussierten Kameras und vor dem Eingang des Gerichtssaals standen 50 solidarische Freund*innen, die uns mit empowernden Slogans und Rufen empfingen.
HURRIYA.AZADI.FREEDOM NOW.

Vier Stunden mussten wir im unterkühlten Gerichtssaal warten – noch immer ohne Essen seit dem
Sandwich am Vortag. Die Menschen vom Nikis Squat und Orfanotrofeio waren vor uns im Prozess.
Dann wurden wir endlich einzeln in Begleitung von je einem Cop in den Prozesssaal gebracht. Als
alle anwesend waren, wurde uns mitgeteilt, dass der Prozess aufgrund fehlender Übersetzung
verschoben würde. Nun ist er erneut auf den 26.1.2017 verschoben worden. Wir sind alle wieder
frei und müssen für den Prozess nicht anwesend sein. Wir erwarten eine ähnlich Repression wie
die unserer Freund*innen aus den anderen Squats: mehrere Monate Haft auf bis zu drei Jahren
Bewährung, sowie 200-400 € Prozesskosten pro Person.

40 Stunden eingesperrt. Stundenlanges ausgehungert werden, während die Cops vor uns
Schokolade fraßen. Verwehrung des rechts auf ein Anwaltgespräch ohne Polizeipräsenz. Ein
ewiger Kampf um Grundrechte auf Essen, Wasser und Toilette. Türauflassen müssen beim
Klogang. Brutales Abschneiden von Gegenständen vom Körper und stundenlangesAusharren in
zu stickigen oder unterkühlten Räumen. Wofür – wo ist das Verbrechen?

Das Orfanotrofeio, das seit Dezember 2015 nach der ersten Großräumung von idomeni ein
wichtiger Lebens-, Rückzugs- und Vernetzungsraum für Migrant*innen und Unterstützer*innen
gewesen ist, wurde nicht nur geräumt und die Bewohner*innen festgenommen, sondern das ganze
Haus wurde mit Bulldozern abgerissen. Übrig bleibt ein Schutthaufen, der nicht nur physischer
Natur ist.

Doch die Repressionen bleiben nicht unbeantwortet! Gleich nach der Freilassung aller Inhaftierten
der Squats gab es eine Protestdemo zusammen mit den Migrant*innen aus dem Relocation-Camp
SOFTEX – als Statement gegen die Kriminalisierung und Repression. Gleichzeitig, weil am Vortag
in eine junge schwangere Frau aus Softex gestorben ist, an den Folgen einer chemikalischen
Vergiftung, deren Behandlung im Krankenhaus in Thessaloniki über Stunden verweigert wurde.
Die Demo endetet mit der Besetzung des Unitheaters an der Egnatia, was mehr einen
symbolischen als einen langfristig strukturellen Charakter hat. Dennoch: Es gibt Pläne für
Neubesetzungen und Einrichten neuer Migrant’s Squats in der Stadt.

Squats sind notwendig – insbesondere in Thessaloniki als ein Knotenpunkt auf der Fluchtroute der
meisten Migrant*innen unterwegs – und in Zeiten der Austeritätspolitik solange es keinen
gleichberechtigten Zugang zu Wohnraum für alle gibt. Wir brauchen Räume für Vernetzung, für
Selbstorganisation, die Entwicklung von Utopien und das Wachsen von Solidarität und
Emanzipation.

Our Passion for Freedom is stronger than their prison!