(English below)
Tagesberichte Eidomeni 13.-15.03.2016
„Heute überschlug sich die Berichterstattung über die Vorgänge der letzten Tage. Soeben erfuhren wir, dass in den Medien „westliche Aktivisten“ für den auf twitter als #marchofhope benannten verzweifelten Versuch der Flüchtenden, endlich Griechenland zu verlassen, verantwortlich gemacht werden. Die hier unabhängig aktiven Menschen, die seit Monaten versuchen, die Flüchtenden auf ihrem Weg auf verschiedenste Art und Weise zu unterstützen und die EU in ihre Verantwortung zu ziehen, werden damit angeklagt hunderte Menschen in Gefahr gebracht und vermeintlich willentlich in die Ungewissheit geschickt zu haben. “
Am Abend des 13.03. wurde während unserer Essensausgabe im Camp ein fragwürdiger Flyer auf arabisch im Camp in Eidomeni verteilt. Dieser enthielt diverse falsche Informationen. Unter anderem, dass alle Menschen in die Türkei deportiert werden würden und sie diesem nur entkommen könnten, wenn sie es schaffen würden illegal nach Mazedonien einzureisen. Es wurde dazu aufgerufen sich am nächsten Tag zu treffen und gemeinsam loszugehen. Auf dem Flyer war eine Karte abgedruckt mit der genauen Wegbeschreibung zu einer Lücke im Grenzzaun. Unterschrieben war er mit „Kommando Norbert Blüm“. Wer der oder die wahre Urheber*in ist, ist immer noch ungeklärt.
Von Anfang an hatten wir große Kritik an diesem Flyer. Mitnichten schien das wirre Vorhaben eine wahre Perspektive zu eröffnen. Bereits am Abend des 13.03. kontaktierten Aktivist*innen aus unserem Umfeld die griechische NGO „Praksis“, die kurz darauf über die Lautsprecher im Camp durchsagten, dass der Flyer falsche Informationen enthält und das Vorhaben sehr gefährlich ist.
Am Morgen des 14.03. machten sich einige auf den Weg ins Camp, um zu sehen, ob die Menschen dem Aufruf folgen würden. Schnell wurde klar, dass sich sehr viele auf den Weg machen würden. Zu lange schon hatten die Menschen auf irgendeine Hoffnung heischende Information gewartet. Auch wenn keine*r wusste, wohin der Weg führen würde, waren alle fest entschlossen es zu versuchen. Wir und andere Aktivist*innen beschlossen, die Menschen nicht in ihrer freien Entscheidung zu beeinflussen, da wir mitnichten besser informiert waren als sie und die Menschen sich ohnehin nicht würden aufhalten lassen. Der Flyer war der Anstoß für die Massenbewegung, es war aber abzusehen, dass die Menschen nach so langer Zeit im Schlamm ohnehin aufgebrochen wären. Mit dem Vorhaben das Vorgehen der mazedonischen Polizei und des Militärs zu beobachten und zu dokumentieren machten sich einige von uns mit den Flüchtenden gemeinsam auf den Weg über die Grenze. Das einzige was denjenigen von uns, die entlang des Weges vor Ort waren, blieb, war den Weg – insbesondere die Überquerung des Flusses – für die Menschen so sicher wie möglich zu gestalten. In der Nacht zuvor waren dort bereits 3 Menschen ums Leben gekommen. Die Szenen die sich abspielten waren schrecklich. Alle Menschen, inklusive kleinster Kinder und Alte überquerten den eiskalten Fluss, obwohl niemand sagen konnte was danach geschehen würde.
Bald darauf erfuhren wir, dass diejenigen von uns und zudem alle Journalist*innen, die mit bis nach Mazedonien gelaufen waren, wegen illegalem Grenzübertritt festgenommen wurden. Die Flüchtenden, die es ebenfalls über die Grenze schafften, wurden von Militär umringt und bald darauf zurück nach Eidomeni transportiert. Diejenigen Flüchtenden, die zwar auf der anderen Seite des Flusses, aber noch auf griechischer Seite der Grenze verblieben, waren gezwungen die Nacht dort im Matsch zu verbringen und am heutigen Tag den gesamten Weg zurück nach Eidomeni zu laufen.
Heute überschlug sich die Berichterstattung über die Vorgänge der letzten Tage. Soeben erfuhren wir, dass in den Medien „westliche Aktivisten“ für den auf twitter als #marchofhope benannten verzweifelten Versuch der Flüchtenden, endlich Griechenland zu verlassen, verantwortlich gemacht werden. Die hier unabhängig aktiven Menschen, die seit Monaten versuchen, die Flüchtenden auf ihrem Weg auf verschiedenste Art und Weise zu unterstützen und die EU in ihre Verantwortung zu ziehen, werden damit angeklagt hunderte Menschen in Gefahr gebracht und vermeintlich willentlich in die Ungewissheit geschickt zu haben. Davon distanzieren wir uns mehr als deutlich! Ereignisse wie diese scheinen der öffentlichen Meinungsmache wie gerufen zu kommen, um autonome Hilfe und politische Arbeit in und um Eidomeni unmöglich zu machen und uns unter Generalverdacht zu stellen.
Wir werden weiterhin vor Ort sein, um Flüchtende zu unterstützen und aufzuzeigen, dass die Festung Europa verantwortlich für all dies ist!
Freedom of movement is everybodys right!
++++++++ English Version +++++++
Daily report Eidomeni 13.-15.03.2016 [english version]
#naraontour
At the night of the 13.03, during the food apportionment, a questionable Flyer in Arabic was spread in the Eidomeni Camp. It contained divers false information. Amongst others that all people wil be deported to Turkey and that the only possibility to get away is to illegal enter Macedonia. It further said to meet the next day and travel together. A map was printed on the flyer with exact directions to a gap in the border fence. It was signed with the name “Kommando Norbert Blüm” (“Command Norbert Blüm”). It is unclear who the real initiator/s is/are.
From the beginning we criticized the flyer, because it does not seemed to be a real perspective. At the same night already fellow activists contacted the Greek NGO “Praksis”.
They informed the people through a speaker that this plan is very dangerous and the flyer contains false information.
In the morning of the 14.03 some of us went to the camp to see if people will follow the call. Soon it was clear that many wanted to set off. The people waited too long for some peace of information giving them hope. Although no one knew where the way was leading people were determined to try. We and the other activists decided not to influence the people in their free decision, because we had no further information as them and we could not have kept them from going anyway. While the flyer was the impulse for this mass movement, it was clear that the people, after such a long time in the mud, would go at some point. Some of us accompanied the refugees on their way to cross the border to document the actions of the Macedonian police and military. The only thing left to do concerning the refugees was to secure the way, especially the crossing of the river, as much as possible. In the night before three people died trying. All people including youngest children and the elderly crossed the ice-cold river, although no one could say what would happen afterwards. Awful pictures.
Soon afterwards those of us, including all journalists, were arrested on charges of illegal crossing the border. The refugees managed to cross the border as well were surrounded by the military and transported back to Eidomeni. Those of the refugees that remained on the Greek side of the river were forced to stay overnight in the mud and on the next day to walk back the whole way to Eidomeni.
Today the news reports about the events of the last days overturned. We came to know that the media is blaming “western activists” for, what is called #marchofhope on twitter, the desperate try of the refugees to finally leave Greece. The independent activists that try for months to help the refugees, in diverse ways, on their way and to hold the EU to account are accused of deliberately leading hundreds of humans into danger and uncertainty. We explicitly distance ourselves from this! Events like this seem to appear timely to eliminate autonomous help and political work in and around Eidomeni and further put us under general suspicion.
We will still be here to support refugees and show that Fortress Europe is responsible for this.
Freedom of movement is everybody’s right!