Kontextbericht: Ein Überblick über die Gesamtsituation (16.12.2015)

Beim Squat in Thessaloniki findet momentan viel Vernetzungsarbeit und Informationsaustausch statt. Von dort aus wollen wir einen Abriss über die Gesamtsituation geben.

Schon in der Türkei werden Refugees derzeit gewaltsam von (Grenz)polizist*innen zurückgehalten, ohne überhaupt erst ihre lebensgefährliche Überfahrt mit dem Boot auf eine der griechischen Inseln zu vollziehen. Boote werden gezielt angegriffen und somit Menschen gezwungen noch gefährlichere, weitere Routen über das Mittelmeer zu nehmen.

Angekommen auf griechischem Boden (meist Lesbos, Kos, Chios) werden die Menschen registriert – auf Grundlage der Dokumente, falls vorhanden. Mit den griechischen Registrierungspapieren, die ihnen erlauben, 30 Tage in Griechenland zu sein, reisen die Menschen weiter an die griechisch-mazedonische Grenze (Idomeni). Mit Bussen kommen die Leute zunächst in der Nähe von Polykastro an einer Raststätte an der Autobahn an, von wo aus immer einzelne Busse weiter zum Grenzübergang Idomeni/ Gevgelija in Begleitung einer Polizeieskorte weiterfahren. An der Grenze werden die Personen dann von der mazedonischen Grenzpolizei nach Nationalität selektiert. Nur Menschen mit syrischen, afghanischen und irakischen Papieren werden durchgelassen. Alle anderen werden von der Polizei direkt zurück in die Busse begleitet und kostenpflichtig nach Athen abtransportiert. Trotz Bekanntheit dieser rassistischen Prozedur werden alle Refugees nach Idomeni gefahren, um dann dem entwürdigenden und gesetzeswidrigen Pushback (engl. für zurückschieben) ausgesetzt zu sein.

Von Idomeni schaffen es immer wieder vereinzelt Menschen, die nicht die „richtige” Nationalität vorweisen können, sich abzusetzen, um andere Wege über die Grenze nach Mazedonien zu suchen.

Zurück in Athen werden alle zurückgeschobenen Refugees im Taekwondo Stadion untergebracht. Aktuell befinden sich dort 2000 – 3000 Menschen. Nur offizielle Organisationen oder NGOs haben Zutritt zu dem Stadion, keine unabhängigen Unterstützer*innen. Die Menschen dort dürfen das Stadion zwar verlassen, jedoch nur bis 20 Uhr, dann wird alles abgeriegelt. Immer wieder kommt es unter dem Umstand, dass viele Menschen auf engem Raum zusammengepfercht sind, zu Konflikten. Gestern wurden 100 Marokkaner*innen aus dem Stadion verhaftet und in ein Detention-Center gebracht, um von dort aus zurück nach Marokko abgeschoben zu werden. Gerüchten von marokkanischen Flüchtenden zufolge sind 2 Menschen in dem Stadion gestorben.

Es gibt die Vermutung/ das Gerücht, dass Schlafmittel in das Abendessen gemischt wird, da die Menschen danach auffällig müde sind.

Was sich ganz aktuell abzeichnet ist eine anstehende Veranstaltung in besagtem Stadion, die am kommenden Mittwoch stattfinden soll. Aufgrund dessen soll das komplette Stadion geräumt werden. Das bedeutet konkret für die Menschen, die dort derzeit wohnen, entweder die direkte Abschiebung (in die Türkei oder ins Herkunftsland) oder ein Abtauchen in die Illegalität und auf die Straße.

Im Squat in Thessaloniki sind momentan viele Menschen, die nach der Räumung des Idomeni-Camps und der Proteste dort nicht über die Grenze konnten und nun seit etwa einer Woche hier wohnen, sich vernetzen, informieren und über mögliche Perspektiven nachdenken. Während dieser Räumung wurden einige Familien getrennt. Einige Familienmitglieder, die es nicht geschafft haben sich dem Rücktransport zu entziehen, wurden nach Athen abtransportiert. Andere konnten rechtzeitig den Ort verlassen und nach Thessaloniki kommen – einerseits um sich zu organisieren und andererseits um sich nach teilweise vier Wochen Protestieren und Ausharren in Idomeni zu erholen.

Es macht fassungslos und verzweifelt, zu beobachten, dass tausende von Menschen, die hier aktuell in Griechenland festhängen und die Grenze nicht auf legalem Weg überschreiten können, keine andere Wahl haben als mit „Schleppern” auf inoffiziellem und somit extrem gefährlichem Wege nach Mazedonien zu reisen. Die sogenannten Schlepper sind leider oftmals Teil mafiöser, krimineller Banden, die die Flüchtenden (auch auf offener Straße, an der Autobahn) ausrauben, misshandeln und ihnen allen Besitz abnehmen. Diese Banden arbeiten korrupt mit Polizist*innen und anderen Banden zusammen, sodass alle Beteiligten ihren Anteil bekommen. Da es aber keine andere Möglichkeit gibt, mit Papieren anderer Nationalität als der syrischen, irakischen oder afghanischen die Grenze zu übertreten, bleibt keine Alternative. Fluchthilfe zu leisten, in dem z.B. Privatpersonen Menschen in ihren Autos über Grenzen oder lediglich durch Mazedonien fahren, wird kriminalisiert und mit jahrelanger Haft für die Fluchthelfer*innen und 3 Monaten Haft mit anschließender Abschiebung für die Flüchtenden bestraft. Diese extreme Repression führt dazu, dass diese Menschen, die ohnehin vor Krieg, Verfolgung, Gewalt und Existenzverlust fliehen, wehrlos erneuter Gewalt und Traumatisierung ausgesetzt und bis auf die letze Würde ausgenommen werden.

Wir haben gehört, dass Tausende hier in Thessaloniki sind, um mit den entsprechenden z.T. mafiösen Fluchthelfern in Kontakt zu kommen und dann auf diesem illegalen Weg weiterreisen müssen.

Es gibt Menschen, die an den Autobahnen durch Mazedonien Menschen unterstützen, indem sie mobil Essen, Wasser, Klammotten und Informationen verteilen. Auch Bordermonitoring wird zunehmend wichtiger, um alternative Routen ausfindig zu machen.

Die Kriminalisierung der Fluchthilfe und die Illegalität dieser Art der Durchreise machen es unglaublich schwer, die Menschen, die in Mazedonien und auch anderswo unterwegs in Schwierigkeiten geraten, zu unterstützen. Die derzeitige Situation der Menschen hier in diesem Squat und auch anderswo in Griechenland auf der Straße, im Stadion oder sonst wo wirkt aussichtslos und frustrierend.

Es darf nicht sein, dass Menschen sich auf solch lebensgefährliche und entwürdigende Wege begeben müssen, wenn es doch möglich wäre einfach in den Zug oder das Flugzeug zu steigen und auf direktem, sicherem Weg nach Europa zu gelangen. Dennoch werden diese Menschen ihren Weg machen und sich von all den Repressionen nicht aufhalten lassen.

Solidarität kennt keine Grenzen! Open all borders!